Hallo, hallo! Hier Königs Wusterhausen auf Welle 2.700.
Am 22. Dezember 1920 gelang die technische Revolution: Sprache und Musik wurden in Deutschland erstmals per Funkwelle übertragen. Die Ur-Radio-Sendung kam vom Funkerberg in Königs Wusterhausen. Anne Kohlick war dort, wo Rundfunkgeschichte lebt.
"Hallo, hallo! Hier Königs Wusterhausen auf Welle 2.700." Mit diesen Worten beginnt die deutsche Radiogeschichte. Der Satz ist kurz vor Weihnachten im Jahr 1920 zu hören. Am 22. Dezember haben Angestellte der Reichspost, die gleichzeitig Tüftler und Hobby-Musiker sind, ihre Instrumente mitgebracht in die "Hauptfunkstelle Königs Wusterhausen", ihrem Arbeitsplatz auf dem Funkerberg, der gespickt ist mit Antennen und Sendemasten.
Von hier verbreiten sie telegrafisch Börsennachrichten - das ist ihr Job. Aber an diesem Nachmittag haben die Kollegen um Ingenieur Erich Schwarzkopf etwas Besonderes vor: Ein kleines Weihnachtskonzert wollen sie geben und die Musik per Funk übertragen. Um das möglich zu machen, tüfteln die Postbeamten seit Monaten an einem neuartigen Sender. Denn die bisherigen Anlagen können nur simple telegrafische Signale erzeugen - nach den Regeln des Morse-Alphabets.

Eine kleine Sensation
Musik und Sprache erfordert eine weit komplexere Modulation des Signals, weiß Rainer Suckow: "Deshalb war es eine kleine Sensation, als es geklappt hat, das Weihnachtslied ‚Stille Nacht, heilige Nacht‘ live vom Funkerberg zu übertragen - gezielt für ein Publikum." 100 Jahre nach der ersten Radio-Sendung ist Rainer Suckow Vorsitzender des Vereins "Sender Königs Wusterhausen". Zusammen mit dutzenden weiteren Radio-Liebhabern aus dem Verein sorgt er ehrenamtlich dafür, dass die historischen Gebäude und Sendeanlagen erhalten bleiben und für Interessierte zugänglich sind.
Nachdem das Weihnachtskonzert am 22. Dezember 1920 wohl gegen 15 Uhr endet, treffen Telegramme aus ganz Europa in Königs Wusterhausen ein: Aus Luxemburg, Skandinavien, den Niederlanden melden sich Radio-Begeisterte, die "Stille Nacht" mithilfe von Detektor-Empfangsgeräten hören konnten. Sarajewo schreibt: "Ihr heutiges Telefoniekonzert war ausgezeichnet, ebenso der Gesangsvortrag." Aus England heißt es, der Sprecher sei so gut zu hören, als säße er im Nebenraum. Und das, obwohl es damals noch nicht einmal Mikrofone gibt.

"Genial im Improvisieren"
"Für diese erste Radiosendung haben die Post-Kollegen die Sprechkapseln aus Telefonen benutzt", erklärt Rainer Suckow. Das Telefon wurden schon Mitte des 19. Jahrhunderts erfunden. Es war also bekannt, wie sich Schall in elektrische Schwingungen umwandeln lässt. "Weil diese Sprechkapseln aber nur sehr kleine Spannungen erzeugen, mussten sie ganz dicht ran an die Tonquelle."
Rainer Suckow zeigt auf eine Schwarz-Weiß-Fotografie, die gerahmt im Sendehaus 1 des Funkerbergs hängt. Darauf sieht man fünf Männer mit Klavier, Klarinette und Geige. An jedem der Instrumente ist mit einem Gummi eine Sprechkapsel befestigt. "Die waren damals genial im Improvisieren", sagt er. "Die Wände des kleinen Kabuffs, aus dem sie gesendet haben, waren mit Wolldecken abgehangen, sodass es keinen Hall gibt. Und eine Badewanne haben sie hochkant aufgestellt, mit Stoff bespannt und zur Verbesserung des Klangs benutzt."

Radio hören wie 1920 - "ein Superklang"
Um 1920 Radio empfangen zu können, brauchte man Kopfhörer und einen sogenannten Detektor, der die Funkwellen mithilfe eines Bleiglanzkristalls in hörbare Frequenzen übersetzt. "Da ist keine Batterie drin, kein Netzanschluss für Strom. Das funktioniert nur mit der Energie, die von der Antenne kommt", erklärt Dieter Olm.
Der Rundfunktechniker im Ruhestand schaut liebevoll auf das kleine schwarze Gerät, ein Ausstellungsstück aus den 20er Jahren – zu sehen im Museum, das der Verein "Sender Königs Wusterhausen" auf dem Funkerberg betreibt [museum.funkerberg.de]. Auch Dieter Olm engagiert sich hier und sorgt mit anderen Tüftlern dafür, dass die teilweise 100 Jahre alten Geräte immer noch funktionieren. "Hören Sie mal", sagt er und reicht die Kopfhörer, "ein Superklang".

Drei Sendemasten im Stadtwappen
Radiogeschichte - in Königs Wusterhausen ist sie lebendig. Den Beinamen "Rundfunkstadt" trägt man hier, 30 Kilometer südlich von Berlin, mit Stolz. Passend dazu zeigt das Wappen der 37.000-Einwohner-Stadt im Landkreis Dahme-Spreewald drei Sendemasten. Und gesendet wird noch immer vom Funkerberg. Einmal monatlich geht Rainer Suckow mit der Live-Sendung "Welle 370" [welle370.de] und seinem Co-Moderator Matthias Maetsch on air – jeden dritten Sonntag ab 14 Uhr für eine Stunde.
Dieter Olm bringt ihre Sendung auf die Antenne. Dafür hat der pensionierte Rundfunktechniker einen ausrangierten Sendewagen aus den 90er Jahren wieder flott gemacht. Sein Herz hängt an dem hellblauen begehbaren Kasten, der am Fuß eines großen Sendemasts auf dem Funkerberg steht. "Ich erinnere mich noch an das erste Mal, als ich in so einem großen Übertragungs-Wagen drin war", sagt Dieter Olm. "Da habe ich mich gefühlt wie im Raumschiff Enterprise. Aber wenn man so langsam auf dem Klavier spielen kann, dann macht es richtig Spaß." Jetzt als Rentner habe er Zeit: "Also habe ich gesagt: Dit is mein Baby und habe den wieder auf Vordermann gebracht."

100 Jahre später senden sie immer noch
In einem Umkreis von zehn Kilometern um den Funkerberg ist die Sendung aus Königs Wusterhausen über Mittelwelle zu empfangen – auf 810 Kilohertz. Oder man hört per Livestream im Internet zu. Eine Sonderausgabe der "Welle 370" ist für den 100. Jahrestag der ersten Radiosendung am 22. Dezember geplant [100jahrerundfunk.de]. Gesendet wurde damals noch mit ganz anderer Technik als heute: 1920 nutzten die Rundfunk-Pioniere einen selbstgebauten Lichtbogensender.
"Diese Technik macht süchtig"
Der Apparat ist nicht erhalten, aber es existieren noch Fotos und technische Beschreibungen. So konnten die Tüftler vom Verein den Sender als Miniaturversion nachbauen. "Das Besondere an dem Versuch ist, dass es in der Technologie des Sendens original wie 1920 ist", sagt Rainer Suckow. "Das heißt, wir können ein Langwellen-Signal erzeugen so wie vor 100 Jahren. Und das hört man – vor allem an den prasselnden Nebengeräuschen. Die sind typisch für Lichtbogensender."
20er-Jahre-Stimmung kommt auf dem Funkerberg auf, als Rainer Suckow eine Platte mit Schlagern aus der Zeit auflegt und die Musik ein paar Meter weiter – vom Lichtbogensender übertragen – auf einem historischen Radio hörbar wird. "Diese Technik macht irgendwie süchtig", sagt Dieter Olm. "Wenn man sich einmal damit beschäftigt hat, kommt man nicht mehr wieder los." Rainer Suckow grinst ihn an, als er in ein selbstgebautes Mikrofon die historischen Worte spricht: "Hallo, hallo! Hier Königs Wusterhausen."

Kommentare
Kommentar veröffentlichen