Gerichtsurteil Urteil zur sofortigen Aufhebung der Suspendierung
Langtext
Gericht:VG Cottbus 4. KammerEntscheidungsdatum:24.08.2020Aktenzeichen:4 L 284/20ECLI:ECLI:DE:VGCOTTB:2020:0824.4L284.20.00Dokumenttyp:BeschlussQuelle:
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 19.06.2020 gegen das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte als hauptamtlicher Bürgermeister der Stadt K... wird wiederhergestellt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Das Rubrum war von Amts wegen dahingehend zu berichtigen, dass der Antragsteller in eigener Person und nicht in seiner Stellung als Bürgermeister den vorliegenden Antrag stellt, während Antragsgegnerin die Stadt K... ist. Gemäß § 8 Abs. 2 S. 2 des Gesetzes über die Errichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung im Land Brandenburg (BbgVwGG) sind Klagen aus einem beamtenrechtlichen Verhältnis nicht gegen die Behörde, sondern gegen den Rechtsträger zu richten. Nichts anderes gilt für Anträge auf Gewährung von Eilrechtsschutz.
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Der Antrag,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 19.06.2020 gegen das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte als hauptamtlicher Bürgermeister der Stadt K... vom 18.06.2020 wiederherzustellen,
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hat Erfolg.
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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakt ganz oder teilweise wiederherstellen. Ob der Zulässigkeit des entsprechenden Antrages entgegensteht, dass dem Verbot zugrundeliegenden Beschluss der Stadtverordnetenversammlung gem. § 55 der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg (Bbg KVerf) vom Stellvertreter des Antragstellers als Bürgermeister beanstandet wurde und dadurch bereits ein Suspensiveffekt eingetreten ist, obwohl dies dem Antragsteller wegen seiner beamtenrechtlichen Stellung nicht zugekommen ist und wäre, weshalb dem Stellvertreter nicht mehr zustehen könnte, kann dahinstehen. Denn der gestellte Antrag ist zulässig und begründet, über die beamtenrechtliche Sichtweise hinaus lässt die Beanstandung keine kommunalverfassungsrechtliche Problematik erkennen, zumal die Beteiligten übereinstimmend davon ausgehen, es liege hieraus keine Suspensivwirkung vor. Inhaltlicher Maßstab der hier gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden gerichtlichen Entscheidung im Eilverfahren ist eine umfassende Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind einerseits das öffentliche Interesse an der sofortigen Versetzung des Antragstellers in den vorzeitigen Ruhestand und andererseits das private Interesse, hiervon zunächst verschont zu bleiben. Diese Abwägung hat der Gesetzgeber zunächst dahin vorgenommen, dass Widerspruch und Anfechtungsklage im Einklang mit dem verfassungsrechtlichen Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) grundsätzlich aufschiebende Wirkung entfalten (§ 80 Abs. 1 VwGO), diese aber entfällt, wenn die Behörde - wie hier - die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO gesondert angeordnet hat. Das Gericht prüft mithin im Falle einer solchen Anordnung, ob die Behörde zu Recht das Interesse an der sofortigen Vollziehung höher gewichtet hat als das Interesse des Adressaten, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens von einer Vollziehung des Verwaltungsaktes verschont zu bleiben. Im Rahmen dieser Interessenabwägung haben auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes Bedeutung; allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als bei Gewichtung des Sofortvollzugsinteresses in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte (vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Juli 2008 - OVG 11 S 56.08 - juris; Beschluss vom 15. September 2006 - OVG 11 S 75.06 - NVwZ 2007, 848). Das private Aussetzungsinteresse überwiegt jedenfalls, wenn der erlassene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. April 2013 – OVG 4 S 25.13 -)
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In formeller Hinsicht entspricht die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, namentlich hinsichtlich der Erwähnung der einzelfallbezogenen Gesichtspunkte, die sich aus der fortgesetzten Auseinandersetzung der Beteiligten über die Behandlung des Verhaltens des Antragstellers in Sitzungen der Antragsgegnerin ergeben (vgl. hierzu etwa VG Cottbus, Beschluss vom 16. Juni 2020 – 1 L 265/20 –, juris). Insoweit hat die Antragsgegnerin jedenfalls das Begründungserfordernis nicht verfehlt, die Richtigkeit der Ausführungen unterliegt der nachfolgenden gerichtlichen Überprüfung.
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Die nach dem Vorstehenden gebotene Interessenabwägung fällt zu Lasten der Antragsgegnerin aus. Der Bescheid vom 18.06.2020, mit dem das Verbot der Ausführung der Dienstgeschäfte ausgesprochen wurde, erweist sich bei der gebotenen summarischen Prüfung als mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig, sodass der hiergegen eingelegte Widerspruch aller Voraussicht nach erfolgreich sein wird.
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Die formelle Rechtswidrigkeit ergibt sich nicht daraus, dass der Antragsteller nicht angehört worden ist. Gemäß § 54 Abs. 2 des Beamtengesetzes für das Land Brandenburg (LBG) soll der Beamte vor Erlass des Verbotes gehört werden. Dies ist hier unstreitig nicht erfolgt. Insoweit kann aber gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Brandenburg (VwVfGBbg) i.V.m. § 45 Abs. 1 Nr. 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) die Anhörung jedenfalls im Widerspruchsverfahren nachgeholt werden und ist durch die Stellungnahmen des Antragstellers im vorliegenden Verfahren nachgeholt, sodass der Verfahrensmangel geheilt ist.
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Das Verbot der Ausführung der Dienstgeschäfte vom 18.06.2020 erweist sich nach der allein möglichen summarischen Prüfung mit überwiegende Wahrscheinlichkeit als materiell rechtswidrig.
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Gemäß § 39 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (BeamtStG) kann einem Beamten aus zwingenden dienstlichen Gründen die Führung der Dienstgeschäfte verboten werden. Wie sich aus § 39 Satz 2 BeamtStG ergibt, geht der Gesetzgeber davon aus, dass dem Verbotsverfahren ein auf Rücknahme der Ernennung oder auf Beendigung des Beamtenverhältnisses gerichtetes Verfahren zu folgen hat (vgl. schon: OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschlüsse vom 20. Oktober 2006 - 1 M 198/06 – sowie vom 23. Februar 2011 – 1 M 16/11 -, VG Potsdam, Beschluss vom 20. Februar 2013 – 2 L 234/12 -, OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. April 2013 – OVG 4 S 25.13 -, juris).
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Danach liegen keine zwingenden dienstlichen Gründe vor. Solche sind nur gegeben, wenn bei weiterer Ausübung des Dienstes durch den Beamten auf seinem bisherigen Dienstposten der Dienstbetrieb erheblich beeinträchtigt würde oder andere gewichtige dienstliche Nachteile ernsthaft zu besorgen wären (vgl.: BVerwG, Beschluss vom 19. November 1998 - Az.: 1 WB 36.98 -, Buchholz 236.1 § 22 SG Nr. 2 [m. w. N.]; siehe zudem: Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11. Juni 1997 - Az.: B 3 S 357/96 -, juris = ZBR 1998, 321, LKV 1998, 458 ). Anders als bei der vorläufigen Dienstenthebung im Zusammenhang mit einem disziplinargerichtlichen Verfahren kommt es bei einem Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nicht auf ein vorwerfbares Fehlverhalten des Beamten an, sondern auf die objektive Gefährdung des Dienstes; dies schließt gleichwohl nicht aus, dass zugleich ein Schuldvorwurf gegenüber dem Beamten begründet werden kann (vgl.: BVerwG, Beschluss vom 17. Juli 1979 - Az.: 1 WB 67.78 -, BVerwGE 63, 250 [m. w. N.] ).
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Maßnahmen nach § 39 Satz 1 BeamtStG tragen dabei nur vorläufigen Charakter. Die endgültige Aufklärung ist den in § 39 Satz 2 BeamtStG aufgeführten weiteren Verfahren vorbehalten (vgl.: BVerwG, Beschluss vom 17. Juli 1979 - Az.: 1 WB 67.78 -, BVerwGE 63, 250). Für eine Anordnung nach § 39 Satz 1 BeamtStG ist daher zwar keine erschöpfende Aufklärung erforderlich; es genügt vielmehr, wenn der zuständige Dienstvorgesetzte auf Grund der vorliegenden Erkenntnisse zu der begründeten Überzeugung gelangt, dass dienstliche Gründe ein sofortiges Handeln erfordern und das Verbot der Ausübung des Dienstes nach § 39 Satz 1 BeamtStG als zwingend geboten erscheinen lassen. Maßgebend ist die Prognose, dass die Aufgabenerfüllung der Verwaltung durch die vorerst weitere Amtsführung des Beamten objektiv erheblich gefährdet ist (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. Juni 2013 – 6 A 2586/12 –, Rn. 13, juris). Um einen hinreichenden Tatverdacht annehmen zu können, muss der Dienstherr zwar vom Vorliegen gewisser Belastungsmomente überzeugt sein, jedoch kann die Aufklärung von Widersprüchen zwischen den Angaben der Beteiligten und den vorhandenen Beweisergebnissen der disziplinargerichtlichen Überprüfung überlassen bleiben (vgl.: BVerwG, Beschluss vom 19. November 1998 - Az.: 1 WB 36.98 -, Buchholz 236.1 § 22 SG Nr. 2 [m. w. N.]; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. Dezember 2009 – 1 M 87/09 –, Rn. 4 - 5, juris).
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Dienstliche Gründe sind erst dann zwingend, wenn es den Dienstherrn nicht mehr zugemutet werden kann, die Dienstgeschäfte durch den Beamten fortsetzen zu lassen.
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Gemessen hieran liegen zwingende dienstliche Gründe nicht vor. Der Antragsgegnerin ist insoweit lediglich zuzugeben, dass der Antragsteller im Rahmen der Auseinandersetzung um die Veröffentlichung der Tagesordnung (vgl. VG Cottbus, Beschluss vom 16. Juni 2020 – 1 L 265/20 –, juris) der Antragsgegnerin seine Dienstpflicht verletzt hat, indem er die Tagesordnung nur gekürzt veröffentlichte. Dass das Verhalten des Antragstellers insoweit rechtswidrig war, unterliegt im Hinblick auf den Beschluss der 1. Kammer des erkennenden Gerichts (a.a.O.) keinen Zweifeln.
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Auch mag der Antragsteller – wie die Antragsgegnerin meint – dadurch gegen seine Wohlverhaltenspflicht verstoßen haben, dass er einen Facebookkommentar („Diese Menschen müssten aus der Stadt gejagt werden.“) mit einem „Gefällt mir“-Symbol beantwortet hat. Trotz des eingeschränkten Maßstabes, der eine volle Sachverhaltsermittlung nicht gebietet, können insoweit aber nicht nur die von der Antragsgegnerin in der Begründung des Verbotes der Ausführung der Dienstgeschäfte aufgeführten Anhaltspunkte zu Grunde gelegt werden, sondern auch das durchaus nachvollziehbare Vorbringen des Antragstellers, er habe unwillentlich die vorgeworfene Antwort versehentlich ausgelöst.
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Anders dürfte es sich mit der Durchführung der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 20.05.2020 trotz Aufhebung durch die Vorsitzende der Antragsgegnerin verhalten. Das Verlassen einer Sitzung der Stadtverordnetenversammlung nach 2 Stunden kann ebenfalls nicht als Dienstpflichtverletzung angesehen werden. Angesichts der durch die Corona-Pandemie nachvollziehbaren Besorgnisse scheint das Begehren des Antragstellers nicht so fernliegend, dass ihm ein Vorwurf gemacht werden kann. Wenn die Stadtverordnetenversammlung ihm die Weisung eines Verbleibs gegeben und damit die Verantwortung übernommen hätte, läge dies anders.
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Insgesamt ist nicht ersichtlich, dass bei weiterer Ausübung des Dienstes durch den Antragsteller der Dienstbetrieb erheblich beeinträchtigt würde oder andere gewichtige dienstliche Nachteile ernsthaft zu besorgen wären.
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Die Vorwürfe, die hier ein Fehlverhalten des Antragstellers in den Mittelpunkt rücken, genügen hierfür nicht. Dabei mag dahinstehen, ob davon auszugehen ist, dass sich die Auseinandersetzungen etwa um die Tagesordnung wiederholen werden. In Anbetracht des bisherigen Ablaufs ist der Beteuerung des Antragstellers, er werde die gerichtlichen Entscheidungen akzeptieren, keine erhöhte Überzeugungskraft beizumessen. Insoweit ist aber festzuhalten, dass es sich vorliegend um kommunalpolitische Streitigkeiten handelt, die im Wesentlichen in der Natur der Kommunalpolitik liegen. Auseinandersetzungen zwischen Bürgermeister und Stadtverordnetenversammlung um Beschlüsse und Fragen der Rechtswidrigkeit kommunalrechtlicher Verhaltensweisen stellen keineswegs eine Seltenheit dar. Sie sind für sich genommen – auch wenn sich die Entscheidung des einen Beteiligten im Nachhinein (wie hier) als rechtswidrig erweist - kein hinreichender Anlass für das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte. Andernfalls wäre es der Stadtverordnetenversammlung, die gemäß § 61 Abs. 2 S. 1 BbgKVerf Dienstvorgesetzte und oberste Dienstbehörde des Hauptverwaltungsbeamten und damit des Antragstellers ist, vergönnt, bei jeder kommunalpolitischen Auseinandersetzung mit dem Antragsteller durch den Ausspruch des Verbotes nach § 39 S. 1 BeamtStG sedes vacantia herbeizuführen, was ihr auf kommunalverfassungsrechtlichem Weg so nicht gelingen könnte. Dies ist nicht der Sinn des § 39 BeamtStG. Dieser soll die ordnungsgemäße Fortführung des Dienstbetriebes schützen. Eine solche ist hier erkennbar nicht gefährdet.
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Auch sonstige schwere Nachteile sind nicht ersichtlich. Die zu befürchtenden Nachteile müssten so gewichtig sein, dass dem Dienstherrn die Führung der Dienstgeschäfte durch den Beamten bis zur abschließenden Klärung und Entscheidung nicht zugemutet werden kann. Das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte gemäß § 39 Satz 1 BeamtStG dient der dienstrechtlichen Gefahrenabwehr; die Maßnahme trägt nur vorläufigen Charakter. Mit ihr sollen durch eine sofortige oder wenigstens eine sehr rasche Entscheidung des Dienstherrn gravierende Nachteile durch die aktuelle Dienstausübung des Beamten für den Dienstherrn vermieden werden (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. Juni 2013 – 6 A 2586/12 –,Rn. 13 juris,). Das Verbot dient der zukunftsbezogenen Prävention, nicht der Sanktion zurückliegenden Verhaltens (Kohde in: v. Roetteken/Rothländer, Beamtenstatusgesetz, 19. Update Juni 2020, IV. Zweck des Amtsführungsverbots, Rn. 23) Insoweit käme zwar in Betracht, dass der Antragsteller durch das „liken“ des Facebookkommentars einen Ansehensverlust herbeigeführt hat. Auch im rauen Klima der Kommunalpolitik (vgl. hierzu insbesondere die im Verwaltungsvorgang, Bd. II enthaltenen Auseinandersetzungen des Antragstellers mit Mitgliedern der Stadtverordnetenversammlung auf Facebook) dürfte die Unterstützung der Aussage, Menschen im Allgemeinen – und erst Recht die damit in Bezug genommenen Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung im Besonderen – „müssten aus der Stadt gejagt werden“, deutlich über eine angemessene politische Auseinandersetzung hinausgehen. Insoweit dürfte der Ansehensverlust aber nicht den – durch § 39 BeamtStG geschützten – Dienstherren, sondern allenfalls den Antragsteller selbst treffen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass im Hinblick auf ein etwaiges Disziplinarverfahren vorliegend eine Verdunkelung oder Verdeckung von (Dienst-)Vergehen zu befürchten wäre, wobei in einem solchen Fall ohnehin die Regelung über die vorläufige Dienstenthebung in § 39 Abs. 1 des Landesdisziplinargesetzes (LDG) die vorrangige Regelung sein dürfte.
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Ohne, dass es hierauf entscheidend ankommt, zeigt auch ein Vergleich mit den in der (obergerichtlichen) Rechtsprechung sonst entschiedenen Fällen, dass die Schwelle zu zwingenden dienstlichen Gründen hier nicht überschritten ist. So wird das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte etwa bei sexuellen Übergriffen bzw. „Distanzüberschreitungen“ eines Lehrers gegen Schüler (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. Juni 2013 – 6 A 2586/12 –, juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Mai 2017 – 6 B 265/17 –, juris; außerdienstliches Vergehen ähnlicher Art: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 20. April 2010 – 5 ME 282/09 –, juris), bei einem Leiter einer JVA aus der innerhalb kurzer Zeit mehrere Häftlinge ausgebrochen sind (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. Juli 2015 – 6 A 1454/13 –, juris), bei Verdacht des Diebstahls durch einen Polizeibeamten (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 20. März 2017 – 3 ZB 16.921 –, juris; anders dagegen bei strafrechtlichen Ermittlungen gegen einen Bürgermeister: Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 25. November 2008 – 2 M 156/08 –, juris), bei rechtsextremer und zumindest latent rassistischer Einstellung eines Beamten und damit gegebener Zweifel an seiner Verfassungstreue (Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 05. August 2016 – 2 MB 23/16 –, juris Rn. 17,; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. Dezember 2009 – 1 M 87/09 –, juris; ), bei Dienstunfähigkeit (Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 06. September 2011 – 2 B 519/09 –, juris; Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 01. Februar 2010 – 5 ME 270/09 –, juris) oder bei gravierender und andauernder Pflichtenverletzung (etwa Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Juni 2018 – 6 B 359/18 –, juris; Teilnahme an einem Fußballspiel trotz Krankschreibung, gegenteiliger Weisung des Dienstherrn und bereits eingeleitetem Disziplinarverfahren: Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 25. Juni 2019 – 1 B 139/19 –, juris) für gerechtfertigt gehalten. Die hier streitigen Verhaltensweisen erreichen nach ihrer Schwere oder ihren Auswirkungen nicht das Maß der vorstehenden Verhaltensweisen und Vorwürfe.
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Das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte erweist sich auch als unverhältnismäßig. Unabhängig davon, ob man davon ausgeht, dass der § 39 S. 1 BeamtStG dem Dienstvorgesetzten Ermessen einräumt (jedenfalls kein Entschließungsermessen: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. Juni 2013 – 6 A 2586/12 –,Rn. 14, juris; Reich in, BeamtStG, 3. Aufl. 2018, BeamtStG § 39 Rn. 2unter Verweis auf Bachof JZ 1972, 641; Ramsauer in Kopp/Ramsauer VwVfG § 40 Rn. 21; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke VwGO § 114 Rn. 32; a.A. wohl Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 20. April 2010 – 5 ME 282/09 –, juris Rn. 18,), hat der Dienstvorgesetzte jedenfalls den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
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Der Dienstherr kann ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte auf Einzelaspekte des wahrgenommenen Amts beschränken, wenn die übrigen Bereiche nicht ursächlich für das Verbot sind (so: Reich in BeamtStG, 3. Aufl. 2018, BeamtStG § 39 Rn. 2; eingehend aber zum Grundsatz der amtsangemessenen Beschäftigung: BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1992 – 2 C 45/89 –, juris; Ermessen im Hinblick etwa auf Dauer und Umfang: Kohde in: v. Roetteken/Rothländer, Beamtenstatusgesetz, 19. Update Juni 2020, VI. Ermessen, Rn. 34; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. Juni 2013 – 6 A 2586/12 –,Rn. 14, juris). Gemessen hieran dürfte das gänzliche Verbot der Ausführung der Dienstgeschäfte unverhältnismäßig, weil nicht erforderlich sein, da ursächlich für das Verbot im Wesentlichen der Umgang des Antragstellers mit der Stadtverordnetenversammlung im Bereich der Ladung und Durchführung von Sitzungen ist. Im Übrigen gibt es jedenfalls anhand der Begründung des Verbotes der Ausführung der Dienstgeschäfte vom 18.06.2020 keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller auch in seinen weiteren, vielfältigen Zuständigkeiten für die Stadt K... – der Antragsteller hat als Hauptverwaltungsbeamter gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 bzw. 3 BbgKVerf etwa die Entscheidungen auf dem Gebiet der Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung und der Auftragsangelegenheiten zu treffen, es sei denn, die Gemeindevertretung ist aufgrund besonderer gesetzlicher Vorschriften zuständig bzw. die Geschäfte der laufenden Verwaltung zu führen – Verfehlungen vorzuwerfen sind bzw. der Dienstbetrieb durch sein Weiterhandeln gestört würde.
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Schließlich liegen auch die Voraussetzungen des § 39 S.1 2 BeamtStG nicht vor. Aus dieser Regelung, die das Erlöschen des Verbots bestimmt, wenn nicht bis zum Ablauf von drei Monaten gegen den Beamten ein Disziplinarverfahren oder ein sonstiges auf Rücknahme der Ernennung oder auf eine Beendigung des Beamtenverhältnisses gerichtetes Verfahren eingeleitet worden ist, ergibt sich die gesetzgeberische Intention, dem Verbotsverfahren eines der genannten Verfahren folgen zu lassen (vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. April 2013 – OVG 4 S 25.13 –, juris, Rn. 10; Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 8. Juni 2012 – 2 B 520/09 –, juris, Rn. 3; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23. Februar 2011 – 1 M 16/11 –, Rn. 7; juris Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. Dezember 2009 – 1 M 87/09 –,, Rn. 4- 5, juris,; a.A. Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 20. April 2010 – 5 ME 282/09 –,, Rn. 21, juris,). Liegen die Voraussetzungen für die Durchführung eines solchen Verfahrens nicht vor, dann ist dem Verbot der Führung der Dienstgeschäfte die rechtliche Grundlage entzogen.
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So liegt es indes hier. Ein im Wesentlichen allein in Betracht kommendes Disziplinarverfahren würde anhand der bisher angebrachten Vorwürfe gegen den Antragsteller aller Voraussicht nach nicht zur Beendigung des Beamtenverhältnisses führen. Denn insoweit erweisen sich die Vorwürfe nicht als schwerwiegend genug. Das weitere denkbare Verfahren der Abwahl gemäß § 81 des Gesetzes über die Kommunalwahlen im Land Brandenburg (BbgKWahlG) mit der Folge des § 123 Abs. 5 S. 1 LBG liegt ebenfalls fern.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG (vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. April 2013 – OVG 4 S 25.13 –, juris; Beschluss vom 26. Juni 2015, OVG 4 S 13.15; Beschluss vom 10. Juli 2018, OVG 4 S 25.18). Da es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, ist lediglich die Hälfte dieses Betrags als Streitwert angesetzt worden (vgl. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
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